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Nachstehender Vortrag wurde in Schwerin, Greifswald, Neubrandenburg und Rostock gehalten. Die Aufzeichnungen sind zwar ausformuliert, enthalten aber nur die wesentlichen Aussagen. Anmerkungen und weitere Beispiele und Illustrationen, die spontan in die gehaltenen Vorträge eingeflossen sind, fehlen natürlich. Eine Literaturliste wird auf Wunsch per Email geliefert.

Von der klassischen Verhaltensforschung zur Neuro- und Ökoethologie

J. Robel, Januar 2004

 

Gestatten Sie mir eingangs einige wenige Bemerkungen zu den Gründen, die mich bewogen haben mich mit dieser Thematik intensiver auseinander zusetzen.

Seit mehr als 15 Jahre unterrichte ich Schüler der Sekundärstufen 1 und 2. In dieser Zeit hat sich an den Lehrplaninhalten, die Ethologie betreffend, nichts Wesentliches verändert, im Gegensatz zu anderen Teilgebieten der Biologie, wie zum Beispiel der Genetik. Das ist umso verwunderlicher, da doch die Radikalkritik an wesentlichen Inhalten der klassischen Verhaltensforschung von Zippelius in ihrem Buch „Die vermessene Theorie – Eine kritische Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz und verhaltenskundlicher Forschungspraxis“ schon vor 12 Jahren publiziert wurde. Die Folge dieser massiven Kritik war und ist nach wie vor eine große Verunsicherung vor allem bei den Biologielehrern, und eine verstärkte Diskussion über die Erneuerung und Überarbeitung der Inhalte der Ethologielehrpläne. Was bleibt von der Klassischen Ethologie, was muss aufgegeben werden, was muss differenzierter betrachtet werden ? 

Die Diskussion hält bis heute an. G.H. NEUMANN und K.H. SCHARF, die sieben Jahre nach Zippelius, also 1999, in diesem Zusammenhang ihr Buch „Verhaltensbiologie in Forschung und Unterricht: Ethologie, Soziobiologie, Verhaltensökologie“ herausbrachten, schildern die Situation im gegenwärtigen Biologieunterricht und die daraus resultierende Notwendigkeit der Überarbeitung folgendermaßen: 

„Bei kritischer Durchsicht der Lehrpläne der alten aber auch der neuen Bundesländer sowie der wichtigsten z.Z. eingeführten Schulbücher fällt auf, dass 

- die rasante Weiterentwicklung der Ethologie in der Schulbiologie kaum zur Kenntnis genommen wurde; 

- in der Schulbiologie der Wissensstand der frühen sechziger Jahre weitgehend eingefroren worden ist; 

- die Themen, die heute behandelt werden, in den letzten 35 Jahren überwiegend die gleichen geblieben sind und neue Forschungsergebnisse höchstens am Rand zur Kenntnis genommen wurden; 

- Aufzugebendes wie Leerlaufreaktionen unkritisch weitergegeben wird; 

- häufig grob vereinfacht wird (So steht typisierendes Schablonendenken statt Differenzierung im Vordergrund); 

- die Grenzen der Forschungsmöglichkeiten der Verhaltensbiologie und deren historische Entwicklung im Unterricht nicht behandelt werden.

 

Da Schulbücher, wegen der meist vorgeschriebenen strengen Genehmigungspraxis ein Spiegel der Lehrplanvorgaben sind, ergibt sich das Unbefriedigende der gegenwärtigen Situation auch aus der kritischen Analyse der verhaltensbiologischen Unterrichtsinhalte in den wichtigsten gegenwärtig zugelassenen Unterrichtswerken bzw. Arbeitsheften für beide Sekundarstufen.“

Ein zweiter, und für mich nicht weniger wichtige Grund diesen Vortrag auszuarbeiten, war die heftige Diskussion anlässlich des 100. Geburtstages Konrad Lorenz´ 2003 und die zu diesem Anlass von Taschwer und Föger veröffentlichte Biografie des Forschers.  Was verursachte die Debatte, 14 Jahre nach dem Tod des Nobelpreisträgers, dessen Werk als so umstritten gilt, und der von seinen wissenschaftlichen Nachfahren kaum noch zitiert wird? Es ergab sich für mich die Frage nach der Bedeutung der klassischen Verhaltensforschung und ihrer Begründer für den modernen Biologieunterricht.

In der neueren Literatur des Fachgebietes findet man keine Antworten auf diese Fragen. Methoden und Kenntnisse der klassischen Ethologie sind in modernen Publikationen weitgehend ausgeblendet, Vergleiche zu altbekannten Lehrbeispielen fehlen. Der Focus richtet sich heute weitgehend auf die Untersuchung von Details mit biochemischen, physiologischen und genetischen Methoden. Solche Beispiele sind aber für einen lebensverbundenen Unterricht nur bedingt tauglich, weil unseren Schülern das für das Verständnis notwendige Grundwissen fehlt, ganz abgesehen davon, das sich auch mir als Lehrkraft mitunter der Sinn oder Unsinn einiger Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet verschließt.

Wenn also die Gegenwart keine Antworten bieten kann, sollte man sie in der Vergangenheit suchen. Auch die sogenannte moderne Verhaltensforschung ist schließlich das Ergebnis einer Entwicklung, also einer Evolution. Neue Zweige dieses Gebiets haben irgendwo ihre Wurzeln. Diese aufzuzeigen und eventuell Anregungen für Ihren Unterricht zu geben ist Anliegen dieses Vortrages.

Die Geschichte der Ethologie lässt sich am besten als „Zickzackweg“ beschreiben, wie Oeser (1992) anmerkt, der die Entwicklung der Verhaltensforschung in drei Phasen gliedert: die innovative, die konstruktive und die integrative Phase. 

-         In der innovativen, der Pionierphase, wurden verschiedene Verhaltensweisen beobachtet und in einer noch undifferenzierten Sprache beschrieben.

-         Eine differenziertere, fachspezifische Terminologie bildete sich erst in der konstruktiven Phase aus, in der die Ethologie auch als wissenschaftliche Disziplin mit spezifischen Erklärungsansätzen und Theorien etabliert wurde und auf breite Akzeptanz stieß.

-         In der integrativen Phase schließlich wird das Gedankengebäude der Ethologie ins Gesamtsystem der Biologie eingeordnet. Diese Phase ist allerdings nicht abgeschlossen, weil sich verschiedene Teilgebiete dieses Gesamtsystems verändern und verschiedene Disziplinen, auf deren Ergebnisse und Theorien sich die Ethologie stützt. Außerdem sind neue Disziplinen entstanden, z.B. die Soziobiologie, die z.T. sogar als Widerspruch zur Ethologie aufgefasst werden.

 

Die innovative Phase

Tierbeobachtung dürfte genauso alt sein, wie der Mensch selbst, denn wer Tiere jagen will, muss ihre Gewohnheiten und Verhaltensweisen kennen. Die Zeugnisse der Auseinandersetzung des prähistorischen Menschen sind auch heute noch in Form von Höhlenmalereien zu bewundern. Mit wenigen Strichen waren unsere Vorfahren in der Lage Tiere darzustellen und charakteristische Verhaltensweisen festzuhalten. Diese Zeichnungen sind nicht nur Ausdruck hervorragender Beobachtungsgabe sondern auch eines hochentwickelten Abstraktionsvermögens. 

Auch in der klassischen Antike finden wir Spuren der Auseinandersetzung des Menschen mit Tieren. Das Standardbeispiel dafür sind die Tierfabeln, in denen allerdings menschliche Eigenschaften auf die Tiere übertragen werden, man denke nur an die Fabeln Äsops. 

Das Kamel

Als die Menschen das Kamel zum ersten Male sahen, erstaunten sie über die Größe des Tieres und flohen bestürzt davon. 

Bald merkten sie aber, dass es nicht so furchtbar sei, wie sie es erwartet hatten, sondern dass man es leicht bändigen könne. Sie fingen es mit geringer Mühe ein und verwendeten es zu ihrem Nutzen. Ganz geduldig ließ es alles mit sich geschehen und wich jeder Gefahr aus. Nun fingen die Menschen an, weil es trotz seiner Größe und Stärke sich nie widerspenstig zeigte, sondern sich jede Kränkung ruhig gefallen ließ, es zu verachten, zäumten es auf und ließen es von ihren Kindern leiten. 

Moral: Lass dich nicht von jedem gefährlich scheinenden abschrecken. 

 

Dabei wird das Tier in der Erzählung herangezogen, um bestimmte Zustände und Situationen in der Welt des Menschen zu charakterisieren. Meist haben diese Fabeln auch eine moralisierende Funktion.

Brehm, Alfred Edmund (1829 - 1884)Ende des 19., Anfang des 20 Jahrhunderts, wurden Tierbeobachtungen und -beschreibungen immer populärer. Ein Meister in der Beschreibung seiner vielfältigen Erlebnisse mit Tieren war zweifellos Alfred Brehm. Allerdings kommt das oben genannte Kamel, genauer gesagt Dromedar bei ihm nicht so gut weg, wie bei Äsop. 

 

„Es lässt sich nicht verkennen, dass das Kamel wahrhaft überraschende Fähigkeiten besitzt, einen Menschen ohne Unterlass und in unglaublicher Weise zu ärgern. Ihm gegenüber ist ein Ochse ein achtenswertes Geschöpf, ein Maultier, das sämtliche Untugenden aller Bastarde in sich vereinigt, ein gesittetes, ein Schaf ein kluges, ein Esel ein liebenswürdiges Tier. Dummheit und Bosheit sind gewöhnlich Gemeingut; wenn aber zu ihnen noch Feigheit, Störrigkeit, Murrköpfigkeit, Widerwille gegen alles Vernünftige, Gehässigkeit oder Gleichgültigkeit gegen den Pfleger und Wohltäter und noch hundert Untugenden kommen, die ein Wesen sämtlich besitzt und mit vollendeter Fertigkeit auszuüben versteht, kann der Mensch, der mit solchem Vieh zu tun hat, schließlich rasend werden. Dies begreift man, nachdem man selbst vom Kamel abgeworfen, mit Füßen getreten, gebissen, in der Steppe verlassen und verhöhnt worden ist, nachdem einen das Tier tage- und wochenlang stündlich mit bewunderungswerter Beharrlichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man Besserungs- und Zuchtmittel erschöpft hat.“ (Brehm, 1926) 

Es wäre zu einfach, Brehms anthropomorphe Darstellung tierischen Verhaltens als vor- oder gar unwissenschaftlich abzutun. Auch hier sollte man berücksichtigen, in welcher Zeit und welchen gesellschaftlichen Zusammenhängen diese Tierschilderungen entstanden. Das aufstrebende Bildungsbürgertum hat Brehms Werke geradezu verschlungen und ihnen dadurch zu einer geradezu unglaublichen Popularität verholfen. Dieser Bekanntheitsgrad wirkt auch heute noch in vielen Buchtiteln fort, denken Sie nur an die „Neue Brehmbücherei“, wenn auch die Inhalte mit dem was der „Tiervater“ niedergeschrieben hat nichts mehr zu tun haben. Anders sieht es schon in den Kommentaren der vielen Tiersendungen aus, die über das Fernsehen in die Wohnzimmer gelangen. Hier hat man den Eindruck, dass Brehm selber die Texte verfasst hat, wenn man von Mardern als stilvollen Jägern hört, Nashörner als gepanzerte Ungetüme, Neuweltaffen als Akrobaten der Wälder und Kolibris als fliegende Edelsteine bezeichnet werden – samt und sonders Anthropomorphismen vom Feinsten. Hinzu kommt, dass solche Kommentare von Leuten wie Heinz Sielmann abgegeben werden, deren Bekanntheitsgrad dem Brehms durchaus vergleichbar ist. Diese Tatsachen in Rechnung gestellt, brauchen wir uns als Lehrer über vergleichbare Äußerungen unserer Schüler  nicht verwundern. Wieso sollten die Schüler exakter sein, als die Mediengrößen. 

Allerdings ist einseitige Kritik hier nicht angebracht, da solcher Art „Vermenschlichung“ tierischen Verhaltens mitunter durchaus angebracht ist komplexe Vorgänge populär und verständlich darzustellen, eine Verbundenheit zwischen Mensch und Natur zu erzeugen und auch belehrsam zu unterhalten – und wer könnte leugnen, dass Brehms Tierleben unterhaltsam ist. 

Die vorstehend erläuterte Art und Weise der Darstellung tierischen Verhaltens wird heute der sogenannten Tierpsychologie zugerechnet. Tierpsychologische Studien waren nach heutigen Maßstäben nicht wissenschaftlich und empirisch gestaltet, sondern eine Beschreibung von Tierverhalten auf einer emotionalen Ebene mit Emotionskategorien, die menschlichen Emotionen entlehnt waren. D. h. die Tierpsychologen waren weniger empirisch als vielmehr empathetisch, versuchten also sich in das beobachtete Tier mit menschlichen Denkmustern hineinzuversetzen. Allerdings mussten sie dazu auch vergleichende Studien an Menschen und Tieren betreiben. 

Unter diesem Gesichtspunkt wäre dann auch Ch. Darwins Werk „The expressions of the emotions in man and animals“ (1872) tierpsychologischen Untersuchungen zuzuordnen, in dem er Grundfragen angeschnitten und vergleichende Beobachtungen beschrieben hat, die er schon 1837 – 1842 bei Tierstudien im Londoner Zoologischen Garten angestellt hatte. 

 

Die konstruktive Phase

 

Erste Versuche, sich auf wissenschaftlicher Grundlage und mit wissenschaftlichen Methoden das Verhalten von Tieren zu erschließen mündeten Ende des 19. , Anfang des 20. Jahrhunderts in die Entstehung zweier Schulen, die der Vitalisten und die der Mechanisten.

Die Vitalisten (z. B. Edward Tolman und Bertran Russel) nahmen an, dass Verhalten zielgerichtet ist, d. h. sie glaubten, ein Tier tue nichts, ohne ein Ziel zu haben, auf das es zustrebt. Die Vitalisten bemühten sich nicht um mechanistische Erklärungen von Verhalten. Sie hielten ganzheitsbezogenes Verhalten für mechanistisch nicht erklärbar. Aus diesem Grund haben sie einen transcendalen nicht-wissenschaftlichen ganzheitlichen Faktor postuliert, der das Verhalten auf dieses Ziel zulenkt. Sie nannten diesen Faktor "entelechialen" Faktor - also etwas was sein Ziel in sich selbst hat - und sprachen von "Entelechie" oder "Vis vitalis", also von einer im Organismus liegenden Kraft, und von unfehlbaren, unerklärlichen Instinkten.

Die Mechanisten waren im Gegensatz dazu der Meinung, Verhalten lasse sich letztendlich auf die Grundgesetze der Mechanik bzw. der Physik zurückführen. Sie lehnten den Ganzheitsbegriff der Vitalisten ab und untersuchten nur objektiv messbare Phänomene. Für sie waren die Untersuchungen am Tier und die daraus gewonnenen Ergebnisse in erster Linie zum Aufbau eines Modells und dessen Übertragung auf den Menschen von Interesse.

Innerhalb der Gruppe der Mechanisten differenzierten sich die Reflexologen und die Behavioristen.

 

Die Reflexologen waren hauptsächlich Ärzte aus der Humanmedizin, vor allem in Russland. Die bekanntesten Vertreter dieser Richtung waren Bechterew und Pawlow.Pavlov, Ivan Petrovitsch (1849 - 1936)

Sie entdeckten und beschrieben das Konzept des Reflexes. Allerdings verallgemeinerten sie dann aber dieses Konzept dahingehend, dass sie von der Annahme ausgingen, dass das gesamte Verhaltensinventar eines Tieres von bedingten oder unbedingten Reflexen abhängig ist. Sie meinten, dass diese einfachen Bausteine, also die Reflexe, aneinandergereiht für alle komplexeren Verhaltensweisen verantwortlich seien. Unbestritten ist aber nach wie vor ihr Verdienst um die Entdeckung fundamentaler Grundlagen von Verhalten und letztendlich legten sie mit ihren Untersuchungen den Grundstein für die moderne Verhaltensphysiologie.

Die Behavioristen rekrutieren sich hauptsächlich aus Humanpsychologen, vor allem in den USA. Ihre namhaftesten Vertreter waren Watson, Thorndike und Skinner .

Watson, John Broadus (1878 - 1958)Watson (1878-1958) gilt als Begründer dieser Schule und führte auch den Begriff des Behaviorismus ein. Berühmt und aus sowohl ethischen als auch methodischen Gründen umstritten ist sein Experiment zur Entstehung von Phobien, wozu er offensichtlich durch Freuds Darstellung der Phobie des "kleinen Hans" angeregt wurde. Er gelang ihm, beim "kleinen Albert" mittels Pawlowscher Konditionierungstechnik eine Phobie vor Ratten und ähnlichen zu erzeugen.

Thorndikes (1874-1949) Tierexperimente in den USA führten zur Theorie vom Lernen durch Versuch und Irrtum (trial and error). Er sperrte Katzen in Kisten, aus welchen sie sich durch Betätigung bestimmter Hebel selbst befreien konnten. Nachdem zunächst die richtige Lösung eher zufällig gefunden wurde, gelang es den Tieren sich immer schneller zu befreien. Es hatte also aufgrund des Erfolges Lernen stattgefunden. Thorndikes Effektgesetz (law of effect) besagt, dass eine befriedigende Reaktion (Erfolg) den Lernerfolg verstärkt. Triebkraft ist hier das Luststreben, während bei Pawlow die Reflexe das Verhalten auslösen.

Die Behavioristen verwarfen jegliche subjektive Ausdrücke wie z. B. Empfindung, Aufmerksamkeit, oder Wille. Sie behaupteten, man könne nur Reize und Reaktionen messen und die zwischen ihnen herrschenden Gesetze feststellen.

Und eine weitere Grundaussage war, dass alle Verhaltensweisen erlernt seien. Außer einigen basalen Reflexen sei nichts angeboren. Verhalten baue sich also im wesentlichen aus bedingten und damit erlernten Reaktionen auf. Damit leugneten sie eine physiologische, funktionelle und evolutionäre Basis von Verhalten.

Sie beschäftigten sich deshalb vor allem mit den Mechanismen des Lernens, insbesondere mit der sogenannten operanten Konditionierung, also dem oben genannten Lernen nach Versuch und Irrtum, oder Lernen am Erfolg.

 

Einer der „Väter“ dieser Forschungsrichtung war der amerikanische Psychologe Small, der ausgehend von Studien über das Assoziationsvermögen weißer Wanderratten, nach einer Untersuchungsmethode suchte, die der natürlichen Umwelt der Ratte mehr als die bis dahin verwendeten entsprach. Er ging dabei von der Tatsache aus, dass Ratten in ihrer natürlichen Umwelt in Gangsystemen leben, die es für das Tier erforderlich machen, diese Gänge in ihren Verläufen zu kennen. Diese Tatsache setzt das Vermögen voraus, Wege zu erlernen. Small  konstruierte 1901 einen Apparat, der aus einem Komplex von sich umbiegenden und verzweigenden Gängen bestand, von denen einige Sackgassen waren, andere aber zu einem Ziel führten, an dem Futter zu finden war. Als Grundriss diente das Labyrinth des Hampton-Court-Palace, das er auf eine rechteckige Form abwandelte. Die Labyrinth-Forschung war geboren. Mit ihr ergab sich erstmals die Möglichkeit, Lernvorgänge zu quantifizieren. 

 

 

In der Folgezeit erfuhr dieser Forschungszweig einen ungeheueren Aufschwung, der allerdings auch zu skurrilen Auswüchsen führte, die darauf beruhten, dass man nunmehr annahm, mit dem Labyrinth ein Testmittel gefunden zu haben, das es erlaubte, die Intelligenz und das Lernvermögen aller Tierarten zu erfassen und miteinander zu vergleichen. Demzufolge wurden, angefangen bei Wirbellosen, bis zum 

Menschen die unterschiedlichsten Arten Labyrinthversuchen unterzogen. Man ließ die Tiere die Labyrinthe durchlaufen, durchwaten und durchschwimmen, ließ sie hungern und dursten, schnitt ihnen Nerven durch und extirpierte Sinnesorgane, spritzte ihnen Gifte ein und untersuchte ihr Gedächtnis und ihr Vermögen, das Gelernte auf andere Labyrinthe zu übertragen, ohne zu berücksichtigen, dass mittels Labyrinthforschung nur einige Aspekte des Lernens und der Intelligenz erfasst werden können, und das auch nur bei bestimmten Arten.

Wir lächeln heute darüber, wenn wir lesen, dass die Intelligenzleistung eines Rindes oder einer Taube mit Labyrinthversuchen getestet wurden. Aber auch hier kann man die Forschungsmethodik nicht als solche ad acta legen und Ergebnisse nicht ignorieren. Labyrinthversuche am Menschen oder an Mäusen gehören zum Standardrepertoire der ethologischen Praktika, die an unserer Schule durchgeführt werden, und die sehr wohl geeignet sind, Lernen und Lernerfolge zu quantifizieren, zu demonstrieren und für Schüler nachvollziehbar zu machen.   

variables Hochlabyrinth, aus Einzelstegen zusammengesetzt.  Degu (Octodon degus), Gattung Strauchratten, Familie Trugratten

Erst in diesem Jahr haben drei Schüler meiner Schule ein Projekt durchgeführt und bei „Jugend forscht“ eingereicht, das sich mit der Untersuchung des Wegelernens bei südamerikanischen Degus befasst. 

Ich bin gerade auf dieses Beispiel einer Forschungsmethode intensiver eingegangen, weil es exemplarisch zeigt, wie sehr sich Forschung „Modetrends“ unterwirft. Einmal als erfolgreich und reproduzierbar erwiesen, wird eine Methodik z.T. kritiklos auf manchmal unsinnige Weise verallgemeinert und führt zwangsläufig zu falschen Ergebnissen, die letztendlich dazu führen, das die eben noch „Umjubelte“ zum „Enfant terrible“ erklärt wird. Ich denke da beispielsweise auch an die Aminosäuresequenzierung und einige daraus abgeleiteten Stammbäume, die heute noch jedem Evolutionsbiologen die Schamröte ins Gesicht treibt. Inzwischen wurden sowohl Methodik als auch Interpretation der Ergebnisse so weit entwickelt, dass dieses Verfahren sehr wohl verwandtschaftliche Beziehungen offen legt. Das Problem ist nicht die Methode, sondern der Forscher, der sie vorbehaltlos anwendet und verallgemeinert.

Skinner, Burrhus Frederic (1904 - 1990)Diese Aussage lässt sich auch anhand des dritten, oben genannten Vertreters des Behaviorismus belegen. Skinner erfand die nach ihm benannte Skinner-Box , in der ein Tier belohnt oder bestraft wird, wenn es ein bestimmtes Verhalten zeigt, wodurch dann die Häufigkeit des Auftretens dieses Verhaltens verändert wird. Belohnt man ein bestimmtes Verhalten, tritt dieses häufiger auf, bestraft man es, tritt es seltener auf. Es ist unzweifelhaft, dass man durch diese Methodik eine Vielzahl von Erkenntnissen über Lernmechanismen bei Tieren und die Verhaltensadaptation gewinnen konnte. Zweifelhaft sind hingegen die Schlussfolgerungen, die aus den Ergebnissen gezogen wurden. Skinner gilt als Erfinder der heute umstrittenen Programmierten Unterweisung (Verstärkung gewünschten Verhaltens in Einzelschritten) und der sogenannten "Token Economy" (Belohnung durch Bonbons, Geld o.ä.), die im pädagogischen und klinischen Bereich der Psychiatrie angewandt wird, aber auch bei Kinderzahnärzten sehr beliebt ist – und letztlich arbeitet auch jede Hundeschule auf dieser Grundlage. Der Vorwurf, der vor allem seitens der Studentenbewegung 1968 erhoben wurde, richtet sich gegen die Gefahr des Missbrauchs als Machtinstrument über Kinder und Hilflose. Es ist jedoch keine Frage, dass behavioristische Techniken zur Stabilisierung unbefriedigender gesellschaftlicher Verhältnisse geeignet sind. Denken Sie einfach an die so genannten „Wahlgeschenke“ unserer Politiker.

Die Behavioristen betrachteten den Organismus als "Black Box". Man hat ein Kommando, einen "Input" und erhält eine Reaktion, einen "Output", der messbar ist. Das kann man in der Skinner- Box auch gut untersuchen. Nur waren die Behavioristen überhaupt nicht daran interessiert wie die "Black Box" funktioniert und wie sie in der Evolution entstanden ist. Das wird belegt durch ein Zitat von John Watson, Begründer des Behaviorismus: "Gebt mir ein Kind, sagt mir was aus ihm werden soll, und ich werde genau dies aus ihm machen". 
In der Konsequenz seiner wissenschaftlichen Überzeugung zog Burrhus Skinner, Watson's Schüler, seine beiden eigenen Kinder in Skinnerboxen auf.

Uexküll, Jacob von (1864 - 1944) Als alternatives Konzept zum Behaviorismus und der Tierpsychologie, muss die umwelttheoretische Konzeption tierischen Verhaltens von Jacob von Uexküll gewertet werden. 1926 gründete der Biologe Jakob von Uexküll  an der Hamburger Universität das Institut für Umweltforschung. Hier sollten auf der Grundlage seiner originellen Forschungskonzeption Lebewesen nicht als isolierte Objekte sondern als untrennbar mit ihrer Umwelt verbundene Subjekte erforscht werden. Von Üexkull war der erste, der die Beziehung zwischen Tier und Umwelt formalisierte und darstellte. Dabei versuchte er, die Beziehung zwischen Umweltbedingungen, die er als Objekt bezeichnet, und dem Organismus in objektiver Form darzustellen. Er war auch der erste der verstanden hatte, dass ein Tier mit seiner Umwelt interagiert und dadurch die Umwelt (sensorisch) verändert, so dass es neuen sensorischen Input erhält, auf den es wiederum reagiert usw. Er ging auch davon aus, dass im sensorischen Organ so etwas wie ein Schema vorhanden ist, eine Art Schablone, mit der die Reize, die aus der Umwelt kommen, verglichen werden. Wenn Reize und Schablone nicht übereinstimmen, dann soll eine Reaktion durch das ausführende Organ stattfinden. Bei Übereinstimmung wird das Verhalten beendet. Die Physiologie hat dann viele Jahre später gezeigt, wie richtig dieses frühe Konzept war.

Seine Merkmal-Wirkmal-Konzeption und deren Zusammenhänge hat Uexküll teilweise in seinem Funktionskreismodell veranschaulicht. 

Das Modell zeigt im wesentlichen einen tierischen Organismus als Subjekt, das mit einem Objekt interagiert.

Uexküll hat seinen Funktionskreis modellartig exemplifiziert, und zwar an der weiblichen Zecke, die, um ihre Eier ablegen zu können, auf Säugetier-Blut angewiesen ist. Ihr zentrales Nervensystem ist mit drei Merkzeichen - dem olfaktorischen Zeichen des Geruchs von Buttersäure, dem taktilen Zeichen der Struktur eines Fells und dem thermischen Zeichen der Körperwärme - und mit drei Wirkzeichen - dem Zeichen des Befallenwerdens, dem Zeichen des Bekrabbeltwerdens und dem Zeichen des Angebohrtwerdens - ausgestattet. Merk- und Wirkzeichen sind einander paarweise zugeordnet; dadurch schließt sich der Funktionskreis.

Meist an der Spitze eines Zweigs sitzend, wartet die Zecke darauf, dass ihr chemischer Sinn durch einen Reiz stimuliert wird, der von der markantesten Geruchs-Eigenschaft eines Säugetiers ausgeht, dem Geruch nach Buttersäure. Tritt dieses Ereignis ein, dann werden aus dem olfaktorischen Merkzeichen der Zecke ein Merkmal des Säugetiers und aus der olfaktorischen Eigenschaft des Säugetiers ein Merkmalträger. Kurz formuliert: Die Zecke erteilt ihrem „Gegengefüge“ ein Geruchs-Merkmal. Die zentrale Verarbeitung des chemischen Reizes löst nun in der Zecke ein Wirkzeichen aus, das seinerseits ihre Beinmuskulatur innerviert: Die Zecke lässt sich fallen und landet - wenn sie Glück hat - auf dem Säugetier. Dadurch wird aus dem Wirkzeichen ein Wirkmal des Säugetiers, dessen Träger seine Eigenschaft ist, von der Zecke befallen worden zu sein. Kurz: Die Zecke erteilt ihrem „Gegengefüge“ ein Wirkmal. Nun geht es Zug um Zug: Die Zecke erteilt dem Säugetier das Merkmal der Haarigkeit und - ausgelöst durch die Verarbeitung des entsprechenden taktilen Reizes - das Wirkmal des Bekrabbeltwerdens. Hat die Zecke sich durch die Haare zu einem Stück Haut hindurchgefunden, kommt es zur Erteilung des thermischen Merkmals 'Körperwärme' und - dadurch ausgelöst - zur Erteilung des Wirkmals 'Angebohrtwerden'. Hat sich die Zecke mit Blut vollgesogen, dann lässt sie sich fallen, legt ihre Eier ab und stirbt.

Uexküll schloss alle anthropozentristischen Deutungen aus den tierischen Verhaltensweisen aus und stellte das Tier als „Subjekt in den Mittelpunkt seiner Umwelt“, ein Begriff, den er prägte für „einen streng abgegrenzten Teil seiner Umgebung.

Die vergleichende (klassische) Verhaltensforschung

Pionierarbeiten auf dem Weg zur vergleichenden Tierphysiologie und Ethologie haben zweifellos Karl von Frisch und Oscar Heinroth geleistet, wobei auch auf die Arbeiten von Otto Koehler (vergleichend-reizphysiologische Arbeiten) verwiesen werden muss, auf die aber in diesem Rahmen leider nicht näher eingegangen werden kann.

Frisch, Karl von (1886 - 1982)Der österreichische Biologe Karl von Frisch wurde am 20. November 1886 in Wien geboren. 
In seinen frühen Arbeiten demonstrierte Frisch, dass Fische, im Gegensatz zur damals verbreiteten Vorstellung, Farben wahrnehmen können und einen empfindlichen Hörsinn besitzen. Nach 1919 wandte er sich der Erforschung der Honigbienen zu. Er entdeckte, dass das Geruchsvermögen der Bienen dem der Menschen ähnelt und dass sie, bis auf rot, alle Blütenfarben unterscheiden können. Nach dem II. Weltkrieg kehrte v. Frisch von der Universität in Graz nach München zurück. Er fand heraus, dass die Honigbienen durch die Wahrnehmung des polarisierten Lichtes die Sonne als "Kompass" benützen können und auch bei wolkenbedecktem Himmel die Orientierung nicht verlieren. Über die Markierung von Bienen entdeckte v. Frisch, dass Bienen die Entdeckung von Futterquellen über Tänze vermitteln. 1958 wurde Karl von Frisch von der Universität München emeritiert. Zusammen mit Konrad Lorenz und Niko Tinbergen erhielt er 1973 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

Heinroth, Oscar (1871 - 1945)Oscar Heinroth , ein weiterer Protagonist der Ethologie, wurde von Konrad Lorenz als „Vater der vergleichenden Verhaltensforschung“ bezeichnet und genießt in der Geschichte dieser Disziplin zweifellos größte Bedeutung. Der Verfasser eines vierbändigen Werkes über die Vögel Mitteleuropas, das zwischen 1924 und 1928 erschien, hatte um die Jahrhundertwende Forschungs- und Sammelreisen zum Bismarck – Archipel unternommen, arbeitete ab 1904 am Zoologischen Garten Berlin und wurde 1925 Leiter der Vogelwarte Rossitten in Ostpreußen. Er war kein Theoretiker, sondern in erster Linie Tierliebhaber und genauer Beobachter tierischen Verhaltens. Dennoch sind die theoretischen Implifikationen seines Werkes von größter Wichtigkeit. Durch seine vergleichenden Untersuchungen und Kreuzungsexperimente zum Verhalten von Entenvögeln konnte er die gemeinsamen stammesgeschichtlichen Wurzeln dieser Verhaltensweisen aufzeigen. 

Damit bestätigte er Untersuchungen  des US-amerikanischen Zoologen Charles Whitman, der Ende des 19. Jahrhunderts durch Züchtungsversuche an Tauben zeigen konnte, dass verschiedene Verhaltensweisen wie Schnabelwetzen und Gurren während der Balz einen stammesgeschichtlichen Hintergrund haben und also angeboren sind.

Heinroth wandte den Begriff „Ethologie“ im Sinne von Lebensgewohnheiten an und erläuterte ihn folgendermaßen (Zitat): „Ethos heißt bekanntlich Sitte und Gebrauch im menschlichen Sinne. Für das Tier passt dieses Wort eigentlich ganz und gar nicht, denn Sprache, Sitten und Gebräuche sind bei uns anerzogen und angelernt, aber die Ente bringt ihre Sprache und ihren Komment – wie ich die Verkehrsformen auch später nennen will – mit auf die Welt und übt beides aus, auch ohne je einen Artgenossen gesehen oder gehört zu haben. Wir sprechen hier also von instinktivem, das heißt angeborenen Sitten und Gebräuchen, meinen demnach mit Ethos etwas ganz anderes, als es eigentlich heißt.“ (1911)

Heinroth war es schließlich auch, der sich um die erste Publikation Konrad Lorenz bemühte. Die von dessen zukünftiger Frau heimlich aus seinem Tagebuch abgetippten und an Heinroth gesandten Notizen über das soziale Verhalten von Dohlen wurden schon 1927 veröffentlicht und begründeten eine bis 1940 währende Korrespondenz der beiden Forscher. Lorenz selbst sah sich immer als Schüler von Oscar Heinroth – auch, weil ihm die Tragweite der Arbeiten seines Berliner Mentors schnell klar geworden war. So schrieb er im Februar 1931 an sein Vorbild: „Sind sie sich im klaren, Herr Doctor, dass sie eigentlich Begründer einer Wissenschaft sind, nämlich der Tierpsychologie als einem Zweig der Biologie?“

 

 Wie aus der bisherigen Darstellung hoffentlich erkennbar, ist das Fachgebiet der Ethologie als biologische Disziplin nicht aus einer Wurzel entstanden, sondern knüpft an verschiedene Disziplinen an. Es übernahm , nach Lorenz (1975), zunächst Elemente aus der naturwissenschaftlich orientierten Humanpsychologie, in der der Begriff der Assoziation zum wichtigsten psychologischen Erklärungsprinzip wurde, folgte Anregungen aus der evolutionistischen vergleichenden Morphologie und Entwicklungsgeschichte und integrierte später Methoden der experimentellen Tierphysiologie sowie der taxonomischen Feldforschung. 

Lorenz, Konrad (1903 - 1989)  Tinbergen, Nikolaas (1907 - 1988)  

Als Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung gilt Konrad Lorenz, dass aber wohl in erster Linie, weil er es wie kein anderer seiner Kollegen verstand, die Erkenntnisse dieses neuen Wissenschaftszweiges zu popularisieren und damit auch viele Freizeitforscher, Naturfreunde und Tierliebhaber für die Ethologie zu begeistern. Diese Popularität blieb seinen Mitstreitern Nikolaas Tinbergen und Erich von Holst weitgehend versagt, obwohl sie nicht geringeren Anteil an der Etablierung der neuen Disziplin hatten und deren Entwicklung maßgeblich mitbestimmten.

Konrad Lorenz wurde am 07.11.1903 in Altenberg geboren und starb am 27.02.1989 im selben Krankenhaus, in dem er geboren wurde.
Bedingt durch das tolerante Elternhaus und die vorhandene finanzielle Situation der Familie, konnte sich Lorenz, frei von pekuniären Zwängen, viele Tiere halten, an denen er zunehmend systematisch verhaltensbiologische Beobachtungen machte und beschrieb. Seine erste veröffentlichte Arbeit über das Sozialverhalten von Dohlen beruhte auf Beobachtungen und Beschreibungen einer von ihm halbwild gehaltenen Population.

Auch in den nachfolgenden Studien über Kolkraben, Reiher, Gänse und Enten interessierte ihn vor allem das Sozialverhalten und die Frage, ob die arttypischen Bewegungsabläufe, zum Beispiel bei der Balz, der Paarbildung und Begattung, beim Nestbau und Brutgeschäft erblich fixiert und einem „angeborenen“ Verhalten zuzurechnen ist, die ihrem Körperbau entsprechen, die Umweltreize nur als Auslösemechanismus fungieren, die durch die Reflexketten der „unbedingten Reflexe“ nach Pawlow bewirkt werden, oder ob ein Lernverhalten vorliegt. 

Genau mit dieser Fragestellung werden wir in vielen Lehrbüchern auch heute noch konfrontiert.

Den artspezifischen Bewegungsablauf, den Heinroth als „arteigene Triebhandlung“ bezeichnet hatte, nannte Lorenz – entsprechend der inzwischen vorliegenden Erkenntnisse der Genetik – „Erbkoordination“. Darauf aufbauend entwickelte er die Kettenreflextheorie, in der Annahme, die Erbkoordination sei eine Kette von Reflexen, und kam zu dem Schluss, dass angeborenes und erlerntes Verhalten vicariierende Funktionen seien, also entweder des einen oder des anderen Ursprungs sind.

An der Kettenreflextheorie hielt Lorenz so lange fest, bis er die neurophysiologischen Untersuchungen Erich von Holst´s über die im Zentralnervensystem zu lokalisierende „endogen-automatische“ Entstehung und Koordination von Reizen kennen lernte. Von Holst hatte Rückenmarkspräparate von Aalen hergestellt, indem er durch Einstich das Hirn vom Rückenmark trennte und alle dorsalen Wurzeln des Rückenmarks durchtrennte, über die bei einem Aal Meldungen aus der Peripherie dem Zentralnervensystem zugeführt werden. Der klassischen Reflextheorie zufolge herrschte die Vorstellung, die Schwimmbewegung eines Aals würde vom Hirn initiiert, als Bewegungswelle über den Rumpf laufen, wobei über Sinnesmeldungen die Kontraktion eines Muskelsegments zum nächsten gemeldet, dort die entsprechende Kontraktion auslösen würde und so fort, so dass eine Bewegungswelle, über Propriorezeptoren gesteuert, den Organismus entlangläuft. Das erstaunliche Ergebnis der von Holstschen Ergebnisse war nun, dass die künstlich beatmeten Rückenmakrspräparate, nachdem sie aus Narkose und Operationsschock erwacht waren, wohlkoordiniert zu schlängeln begannen, obgleich ihr Rückenmark keinerlei Sinnesmeldungen von der Peripherie und von der eigenen Muskulatur empfangen konnte. Damit war nachgewiesen, dass es im Rückenmark der Aale automatische Zellgruppen gibt – von Holst sprach von Automatismen - ,die spontan tätig automatische Impulse erzeugen und diese auch zentral so koordinieren und abstimmen, dass ein geordnetes Impulsmuster zur Muskulatur gesendet wird und damit das Schlängeln auslöst. Im Falle der desafferenzierten Rückenmarkspräparate handelte es sich um ein ungehemmtes Schlängeln bis zum Tode.

Im nachhinein stellte Lorenz 1975 fest (Zitat): „Die physiologische Eigenart des Auslösevorganges trat...erst dadurch zutage, dass man die Spontaneität der Erbkoordination entdeckte und sich von der Kettenreflextheorie freimachte, was mir persönlich gar nicht leicht fiel.“

Anekdote von Holst und Lorenz: "Idiot, Idiot"
Zu diesem Meinungsumschwung gibt es eine hübsche Anekdote aus Konrad Lorenz' intellektueller Autobiographie, die auf der Website des Nobel-Museums nachzulesen ist. Im Jahr 1936 hatte Holst bei einem Vortrag mit den Worten "Idiot, Idiot" reagiert, als Lorenz die (veralteten) Argumente der Reflexologie bemühte.

Durch diese neue Erkenntnis konnte Lorenz die von ihm beobachteten Phänomene der „Leerlaufreaktionen“ und der Reizschwellenerniedrigung erklären, die bisher in die Reflextheorie nicht einzuordnen waren. Im Ergebnis dessen entwickelte er sein „psychohydraulisches“ Instinktmodell , das für beide Erscheinungen den Erklärungsansatz liefert. Sowohl das Modell, als auch die Erscheinung von Leerlaufhandlungen gelten heute als überholt. Das Modell liefert für einige Verhaltensweisen eine schlüssige Erklärung. So kann man die Bereitschaft von Tieren zur Futteraufnahme sehr gut am Modell erläutern: 

 

 

 

 

 

Aufgabe :  Bei einer kleinen Schafherde werden nahezu jeden Morgen folgende Beobachtungen gemacht:

Wenn der Schäfer die Tür des Unterstandes öffnet, in dem sich die Tiere über Nacht befinden, treten sie heraus und beginnen auf der zertretenen Weide, die nur noch sehr spärlich mit Gras bewachsen ist, zu fressen.

Beim ersten vertrauten Geräusch, das der Schäfer während des Futterholens aus dem Vorratshaus verursacht, meist ein klapperndes Geräusch mit dem noch leeren Eimer, rennen die Schafe zum Futtertrog. Werden die Getreidekörner hineingeschüttet, fangen die Tiere gierig an zu fressen. Ist der Trog leer, zerstreut sich die Herde wieder. Jetzt interessieren sich die Schafe nicht mehr für das Gras, fressen aber durchaus noch gereichte reife Äpfel. Schließlich legen sich die Tiere zum Wiederkäuen hin.

2.1 Analysieren Sie das oben beschriebene Verhalten der Schafe!

2.2 Verdeutlichen Sie Ihre Erklärungen mit Hilfe eines Modells!

 

Das Modell ist aber in der strikten Verallgemeinerung nicht generell auf alle Instinkthandlungen anwendbar. Das hätte unter anderem ja zur Konsequenz, das eine Antilope, die lange Zeit nicht mehr vor einem Löwenrudel geflohen ist, auf Grund des sich aufbauenden Triebstaus auch ohne äußeren Anlass fliehen müsste. Im Gegensatz zum hydraulischen Instinktmodel hat das Prinzip der doppelten Quantifizierung nach wie vor Gültigkeit.

Eine weitere Schlussfolgerung die Lorenz aus den Ergebnissen von Holst´s zog, war, dass Auslösung von Verhalten in Wirklichkeit „die Beseitigung einer Hemmung“ bedeutet, „die während der Ruhe der Bewegungsweise dauernd wirksam ist und nur durch eine spezifische Kombination auslösender Reize beseitigt wird.“ Lorenz konnte dann experimentell durch Versuche mit Attrappen nachweisen, dass sich der sogenannte Auslöser stets durch „Einfachheit und Prägnanz der Signale“ auszeichnet, und er nannte ihn „Schlüsselreiz“. Der auf Schlüsselreize Angeborenehrmaßen ansprechende „Reizempfänger“ eines Organismus, der selbst auf schematisch vereinfachte Reizdaten art- und situationsspezifische Bewegungsweisen auslöst, nennt Lorenz „angeborenen Auslösemechanismus“. Er hatte das erstmals bei Attacken seiner sonst verträglichen Dohlen auf seine in der Hand getragene schwarze Badehose erlebt, die wohl für eine gefährdete Dohle gehalten wurde, was die Angriffsreaktion auf ihn als „Feind“ auslöste.

Lorenz zog viele seiner Vögel auf in der Absicht, sie so an den Menschen zu gewöhnen und damit leichter unter halbnatürlichen Bedingungen beobachten zu können. Dabei entdeckte er die „Prägung“, einen Lernvorgang besonderer Art. Zwei seiner Beobachtungen bildeten das Schlüsselerlebnis:

An der Altenberger Villa gab es eine Kolonie der oben bereits erwähnten freilebenden Dohlen. Die Tiere waren scheu, und Lorenz wollte durch das Einschleusen von zahmen Dohlen die Scheu der wilden mindern. Er zog dazu Dohlen von Hand auf und entließ sie, als sie flügge waren. Die Handaufgezogenen schlossen sich den wilden an und verhielten sich völlig normal. Erst mit Eintritt der Geschlechtsreife im folgenden Jahr zeigten sie sich in seltsamer Weise verhaltensgestört. Sie adressierten nämlich ihre arteigenen Triebhandlungen des Balzens an den Menschen. Sie lockten ihn mit Nestlocklauten. Einzelne machten sogar Fütterungsanträge, so wie das normal Aufgewachsene als Balzfüttern praktizieren. Einige bemühten sich sogar, Lorenz Futter ins Ohr zu stopfen. Die bäuerliche Bevölkerung war von den närrischen Anträgen der Dohlen, die sogar Kopulationsversuche auf deren Kopf einschlossen, nicht immer erbaut. Offenbar hatten die Tiere in einer prägsamen Phase gelernt: So wie diejenigen, die dich aufziehen, sehen auch deine zukünftigen Geschlechtspartner aus.

Eine weitere Schlüsselbeobachtung machte Lorenz, als er ein frisch geschlüpftes Graugansgössel unter der Mutter hervorholte – aus spielerischer Neugier, könnte man annehmen. Das Gössel begrüßte ihn mit vorgestrecktem Hals und den Lorenz bereits aus vorigen Beobachtungen bekannten „wi-wi-wi-Lauten“. Er antwortete mit „wi-wi“, und so unterhielten sich die beiden eine Weile, bis Lorenz meinte, es wäre nun an der Zeit, der Mutter das Gössel wieder zurückzugeben. Die Versuche, das Kleine der Gans unterzuschieben, blieben jedoch vergeblich. Das Gössel kam immer wieder unter der Mutter hervor und eilte dem sich entfernenden Forscher mit „wi-wi“-Lauten des Verlassenseins nach. Lorenz musste sich damit abfinden, die Mutterrolle zu übernehmen.

Diese und viele andere Anekdoten gibt es um und über Lorenz, zum Teil von ihm selbst verfasst, zum anderen von Freunden, Schülern und Kollegen erzählt, die ihn als Tierfreund und –versteher einem breiten Publikum nahe brachten und nicht zuletzt dafür sorgten, dass nach wie vor dieser Disziplin der Biologie ein ungebrochenes Interesse seitens einer breiten Öffentlichkeit entgegengebracht wird. 

 

Die Kritik entzündete sich erstmals heftig, als Lorenz 1963 mit seinem Buch „Das sogenannte Böse“ Erkenntnisse aus der Ethologie und der Aggression bei Tieren auf den Menschen und die menschliche Gesellschaft übertrug. Er wies in diesem Werk darauf hin, dass die Disposition zur Aggression altes Wirbeltiererbe sei und dass sie bestimmte Aufgaben erfülle, wie die Sicherung einer territorialen Subsistenzbasis, ja generell den Zugang zu begrenzten Ressourcen. Dem Kampfverhalten der Wirbeltiere liege ein eigener Aggressionstrieb zugrunde - als arterhaltend hätten sich Kommentkämpfe entwickelt, die die Tötung des Artgenossen verhindern - und das das zugehörige Verhaltensrepertoire den Tieren angeboren sei. Schließlich weist Lorenz – auch unter Hinweis auf Siegmund Freud – darauf hin, dass sogar wir Menschen mit einem Aggressionstrieb ausgestattet sind. Das brachte eine Reihe von Meinungsgegnern auf den Plan, die partout nichts von Angeborenem im menschlichen Verhalten wissen wollten. Da zu dieser Zeit fachlich keine Einwände erhoben werden konnten, wurde die Diskussion weitgehend polemisch geführt. So schrieb Erich Fromm (1974): „Was könnte für Menschen ... ,die sich fürchten und die sich unfähig fühlen, den zu Zerstörung führenden Lauf der Dinge zu ändern, willkommener sein, als die Theorie von Konrad Lorenz, dass die Gewalt aus unserer tierischen Natur kommt und einem unzähmbaren Trieb zur Aggression entspringt.“

Der Vorwurf, Lorenz würde mit deinem Buch die Aggression gewissermaßen entschuldigen, wurde in gummistempelhafter Monotonie wiederholt. Dabei schreibt Lorenz im genannten Buch ausdrücklich: „Wir haben gute Gründe, die intraspezifische Aggression in der gegenwärtigen kulturhistorischen und technischen Situation der Menschheit für die schwerste aller Gefahren zu halten. Aber wir werden unsere Aussichten ihr zu begegnen, gewiss nicht dadurch verbessern, dass wir sie als etwas Metaphysisches und Unabwendbares hinnehmen, vielleicht aber dadurch, dass wir die Kette ihrer natürlichen Verursachung verfolgen. Wo immer der Mensch die Macht erlangt hat, ein Naturgeschehen willkürlich in eine bestimmte Richtung zu lenken, verdankt er sie seiner Einsicht in die Verkettung von Ursachen, die es bewirken.“

Dass Lorenz´ Buch Schwächen aufweist ist unbestritten. So kommt die Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Aggression zu kurz. Auch die Ableitung der Liebe aus der Aggression muss als falsch bewertet werden. Er bezieht sich dabei auf das bindende Imponiergehabe im Werben des Ganters, der vor seiner Auserwählten Scheinattacken auf gefährliche Objekte ausführt, dann mit viel Kraftaufwand zur Umworbenen fliegt, um dann mit Drohhals und Imponierrufen an ihr vorbeizudrohen, bis sie in dieses Drohritual einstimmt. Dieses gemeinsame Bedrohen eines fingierten Feindes begründet eine Verteidigungsgemeinschaft. Erst wenn das geschehen ist, folgen die der Kopulation vorangehenden Rituale.

Was Lorenz hier richtig sah, ist der Zusammenhang zwischen Verteidigungsbereitschaft und individualisierter Bindung. Aber die Liebe kam nicht mit der Aggression in die Welt, sie entwickelte sich vielmehr stammesgeschichtlich mit der elterlichen oder mütterlichen Fürsorglichkeit im Rahmen der individualisierten Brutpflege. Diese brachte die Motivation zu betreuen, das Repertoire der Fürsorgehandlungen, die Fähigkeit, die eigenen Jungen zu erkennen und von fremden Jungen zu unterscheiden, die in der Regel abgewiesen werden, und schließlich die Bereitschaft, die eigenen Jungen zu verteidigen.

Doch um solche inhaltlichen Fragen geht es in der Kritik ja gar nicht, sondern um die prinzipielle Ablehnung der Übertragung von Erkenntnissen über das Verhalten von Tieren auf die des Menschen. 

Einer der Hauptkritikpunkte an der klassischen Verhaltensforschung ist heute, dass viele der getroffenen Aussagen und Hypothesen „lediglich“ auf Beobachtung und Beschreibung von tierischen Verhaltensweisen beruhen, damit nicht messbar, also quantifizierbar und somit schwierig zu reproduzieren sind. Diese Geringschätzung hängt mit einem bestimmten Wissenschaftsbegriff zusammen, der sich heute der Biologie bemächtigt und die analytische, experimentelle und quantitative Behandlung von Lebewesen eindeutig in den Vordergrund rückt. Lorenz bemerkte dazu, dass diese Mode in den Naturwissenschaften eine Fehlentwicklung sei, diktiert von den „technomorphen Denkgewohnheiten“, die unsere Kultur angenommen habe. Und an anderer Stelle betonte er, dass die Beschreibung „der Strukturen eines organischen Systems um so weniger entbehrlich ist, je vielfältiger sie selbst und damit auch die Wechselwirkungen zwischen ihnen sind.“

Das man heute, einem einseitigen Wissenschaftsverständnis gemäß, nicht selten die Meinung antrifft, dass mit den Methoden der Beobachtung und Beschreibung und des Vergleichs arbeitenden Wissenschaften nicht „exakt“ seien, sind an dieser Stelle noch einige Anmerkungen nötig, um vor allem Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

Generell muss festgestellt werden, dass man die Rolle von Beobachtung und Beschreibung nicht unterschätzen darf. Das gilt für den Wissenschaftler ebenso wie für unsere Schüler. Gerade die Übung und Festigung dieser Fertigkeiten ist ja eine der Grundvoraussetzung für bioLogische Erkenntnisse. Dasselbe gilt in noch höherem Maße für den Vergleich. Es ist sicher richtig, dass in der Ethologie 8wie in anderen Disziplinen, die sich der vergleichenden Methode bedienen) die aus dem Vergleich gezogenen Schlüsse nicht „absolut“ sind und Fehlerquellen enthalten können. Aber für welche Methode gilt das nicht? Es wäre völlig unsinnig zu glauben, dass die „exakten“, experimentellen Methoden stets zu der Weisheit letztem Schluss führen und frei von Fehlerquellen sein können.

In diesem Zusammenhang kann ich mich sehr gut einer heftigen Diskussion um die Ergebnisse zu Aktivitätsuntersuchungen an Karpfenfischen, die eine Diplomandin im Rahmen ihrer Diplomarbeit bei Professor Tembrock gewonnen hatte. Die Aktivitäten eines Schwarmes von Prachtbarben wurden mit Hilfe von Lichtschranken gemessen und über Schreiber protokolliert. Es war höchst erstaunlich, dass die Tiere täglich, eine halbe Stunde nachdem das Licht über eine Zeitschaltuhr um 07.00 Uhr angestellt wurde, eine Phase erhöhter Aktivität hatten. Ein vergleichbarer Wert wurde gemessen, wenn die Tiere um 08.00 Uhr gefüttert wurden. Es wurden dazu die wildesten Hypothesen aufgestellt und diskutiert, bis jemand fragte, wann denn der Hausmeister das Gebäude und die Laborräume aufschließt?

In seiner „Geschichte der biologischen Gedankenwelt“ bemerkt Mayr (1984) nicht zu Unrecht, dass der Unterschied zwischen der vergleichenden und der experimentellen Methode gar nicht so groß ist, wie es scheint. Denn in beiden Fällen werden Daten gesammelt und in beiden Fällen spielt Beobachtung eine Rolle. Auch der Experimentator muss ja schließlich seine Versuche und die Ergebnisse beobachten. Sicher besteht aber der Unterschied darin, dass der Experimentator die Bedingungen seiner Untersuchungen frei wählen kann, während der Beobachter und mit Vergleichen arbeitende Forscher stets die „Experimente der Natur“ zur Kenntnis zu nehmen hat und die Bedingungen erst im Nachhinein erschließen muss.

Ferner wäre es völlig falsch zu denken, dass aus dem Vergleich keine Gesetzeserkenntnis zu gewinnen sei. Denn nach Mohr (1977) hat eine vergleichende Biologie im allgemeinen zwei Aufgaben:

1.     Sie hat zu einer Klassifikation der Organismen beizutragen und so das Verständnis der Stammesgeschichte zu unterstützen.

2.     Sie muss – was vielleicht noch wichtiger ist – funktionale Erklärungen und Erklärungen über die Zweckmäßigkeit von Lebewesen beziehungsweise ihren Teilen liefern.

 

Vor allem diese zweite Aufgabe der vergleichenden Biologie zeigt, dass Gesetzeserkenntnis angestrebt wird und möglich ist: Man vergleicht einzelne Organe oder Verhaltensweisen miteinander und stellt fest, ob sie ähnlichen Funktionen dienen. Falls das zutrifft, kann es sich natürlich um bloße Analogien handeln. Es können aber auch Homologien sein, wonach dann die stammesgeschichtlichen Zusammenhänge erhellt werden können. Anatomen und Morphologen haben längst Kriterien festgelegt, denen zufolge das Vorliegen von Homologien mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ermittelt werden kann. Die Festlegung solcher Kriterien für die Ethologie steht allerdings noch aus.

Eine zweite methodische Kontroverse soll noch kurz behandelt werden. Die Ethologen haben immer wieder darauf verwiesen, dass sie induktiv vorgehen, von einzelnen Fällen auf allgemeinere Gesetze schließen. In seinem „russischen Manuskript, zwischen 1944 und 1948 auf Zementsackpapier geschriebenen – dann verschollen und erst vor wenigen Jahren wieder aufgetaucht – bringt Lorenz (1992) die Sache auf den Punkt: 

„Die große Stärke der induktiven Methode liegt darin, dass der Wahrscheinlichkeitsgrad der Richtigkeit jeder aufgefundenen Gesetzlichkeit bekannt ist. Je größer die Zahl konkreter Einzeltatsachen, in denen eine bestimmte Regelmäßigkeit nachweisbar ist, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass diese auf Zufall beruhe.“

Unter den vorstehend genannte Aspekten hat also auch die vergleichende Verhaltensforschung oder Klassische Ethologie nach wie vor ihre Daseinsberechtigung oder vielmehr die Aufgabe die Richtigkeit der mit experimentellen Methoden gewonnenen Erkenntnisse in der freien Wildbahn am Tier in seiner natürlichen Umwelt zu prüfen. Darüber hinaus liefert sie Anregungen für weitere experimentelle Forschungsansätze. Last not least sollte gerade sie es sein, die die integrative Phase in der Entwicklung der Ethologie einleitet.

 

Gestatten sie zum Abschluss dieses Kapitels ein Zitat zum oben genannten Buch von Zippelius, dass letztlich so gravierend zur Polarisierung der Auffassungen über den Wert der klassischen Verhaltensforschung geführt hat. 

Lamprecht äußerte sich 1993 in „Ethology“ der früheren „Zeitschrift für Tierpsychologie“ zum Werk folgendermaßen:

"Die manchenorts geäußerte Frage, ob dieses Buch nun die gesamte sogenannte klassische Ethologie widerlege, kann man mit einem klaren Nein beantworten. Es behandelt nur ein bestimmtes Teilgebiet, in dem die Theorie außerdem so streng formuliert wurde, wie man sie in der Praxis schon lange nicht mehr benutzt. Und es werden Prinzipien kritisiert, an deren allgemeine Gültigkeit ohnehin kein Fachmann mehr glaubte.

Das Buch ist im Ton fast unerträglich polemisch, dem Inhalt nach rein destruktiv. Von beidem konnte ich beim ersten Lesen absehen, weil ich eine Attacke gegen die in den Schulbüchern erstarrte LORENZsche Ethologie ganz heilsam und schon lange überfällig finde. Die Vergleiche mit der Originalliteratur zeigten mir aber dann leider allzu oft, dass Destruktion der Zweck der Übung war und nicht allein die Folge der ernsthaften Auseinandersetzung mit Theorie und Methoden der Ethologie. Entsprechend sind die Mittel, die dazu eingesetzt werden. Ein solches Buch kann man nicht empfehlen, selbst wenn manches, was darin steht, richtig und interessant ist"

 

Die klassische Ethologie nach der Kritikphase 

 

Was bleibt?

Was muss aufgegeben werden?

Begriff Handlungsbereitschaft

Schlüsselreizkonzept

Prinzip der doppelten Quantifizierung

Existenz von Filtermechanismen

Erbkoordinationen und ihre Formkonstanz

Prägungsbiologie

Evolutiv bedingte Anpassung von Verhaltensweisen

 

psychohydraulisches Instinktmodell

eindimensionaler Triebstau/Triebbegriff

Modell der Instinkthierarchie

Leerlaufreaktion

Schablonenhaftes Typusdenken*

 

Begriff des Artwohls

 * Dazu gehört beispielsweise die schematische Darstellung von Handlungsketten, wie in der Schulliteratur häufig am Beispiel der Balz des Stichlings dargestellt. Dabei überwiegt die Darstellung der linearen Abfolge der Einzelhandlungen

den eigentlichen Tatsachen kommen aber die netzwerkartigen Darstellungen des Auftretens von Verhaltenssequenzen wesentlich näher:

Der Begriff "angeboren" - was bedeutet er noch heute?

Keine der klassischen Verhaltensweisen ist geeignet, die Komplexität des Ausdrucks "angeboren" umfassend zu beschreiben. Dies wird allein schon dadurch deutlich, wenn man die verschiedenen Aspekte des Begriffs "angeboren" berücksichtigt:

Reflex

Instinkt

Erbkoordination

Sinnvollerweise sollte man heute von

 

erbbedingtem (entspricht dem alten "Instinktverhalten“) und einem

 

erfahrungsbedingten (entspricht dem "Lernverhalten")

sprechen.

 Das nachfolgende Beispiel soll Ihnen eine Entscheidungshilfe geben:

Der Kuckuck als Brutparasit

SVERRE SJÖLANDER begann 1999 ein Referat zum Thema "Konrad Lorenz und der Instinktbegriff" mit folgenden Worten:

" Meine Damen und Herren! 

Der Kuckuck ist bekanntlich ein Vogel, der seine Eier in dem Nest einer anderen Art legt. Ein junger Kuckuck hat demnach niemand, der ihn in die Welt des Kuckuckseins einführen kann.

Woher weiß er, dass er ein Kuckuck ist?

Woher weiß er, dass er ein Zugvogel ist?

Woher weiß er, dass er ausgerechnet nach Afrika im Herbst fliegen soll? Woher weiß er, in welche Richtung er fliegen soll?

Woher weiß er, dass er angekommen ist?

Woher weiß er, dass er im Frühjahr zurückfliegen soll? Woher weiß er, dass er angekommen ist?

Woher weiß er, dass er Kuckuck sagen soll?

Oder, wenn es sich um eine Kuckuckdame handelt, ihre ganze Liebe nur dem gehört, der Kuckuck sagt?

Woher weiß sie, dass sie Eier legen soll, und bei wem?

Hier bedarf es wenig Forschung, um uns klar zu machen, dass der Kuckuck das allermeiste von dem Erwähnten Angeborenehrmaßen wissen muss.

Er sieht seine Eltern nie, und es gibt keine Kuckucks-Schule.

Wenn Sie mir einen modernen Metapher gestatten scheint es klar, dass der Kuckuck mit einer Festplatte in seinem Gehirncomputer geboren wird, wo sehr vieles schon vorprogrammiert ist. Auf dieser Platte muss es viele verschiedene Programme geben, manche ganz kurz und einfach - wie man blinzelt, wie man schluckt, wie man niest – und andere, die sehr groß und komplex sind. Ein Programm, das dem Vogel ohne andere Hinweise ermöglicht, auf eigene Faust nach Afrika zu liegen und wieder zurückzukommen, das muss schon etliches am Komplexität beinhalten."

 

Die Bestandteile der modernen Ethologie

 

Eibl-Eibesfeld, Schüler und Mitarbeiter von Lorenz definiert 2003 die Ethologie heute als „Biologie des Verhaltens“ und fächert das Fach in verschiedene Teildisziplinen auf, Verhaltensphysiologie, Verhaltensökologie usw., die sich ihrerseits mit den Basiswissenschaften Sinnes-, Neuro- und Hormonphysiologie, Genetik, Morphologie, Ökologie sowie den Nachbarwissenschaften Anthropologie, Psychologie, Soziologie und Kulturwissenschaften vernetzen.

Einige der ethologischen Zweigdisziplinen haben sich mittlerweile verselbständigt. So profilierte sich eine ökologisch und populationsgenetisch orientierte Richtung als Soziobiologie. Zusammengefasst differenziert man folgende Teilgebiete:

 

Die heutigen Disziplinen der Verhaltensbiologie im Vergleich

Disziplin

Definition/Paradigma

Forschungsgegenstand

Klass. Ethologie

Zweig der Biologie, der sich mit der vergleichend – deskriptiven und der phylogenetisch- kausal-analytischen Beschreibung und Deutung von Verhaltensweisen befasst, vor allem bei verwandten Arten (vergleichende Verhaltensforschung). 

Verhalten wird aus biologischer Sicht mit biologischen Methoden untersucht.

Paradigma: Prinzip der doppelten Quantifizierung des Verhaltens

Verhaltensmorphologie 

Verhaltensphysiologie

Spontanes, erbbedingtes Verhalten

Humanethologie

Untersuchung des menschlichen Verhaltens mit ethologischen Methoden. Vorherrschend sind stammesgeschichtliche Wurzeln des Verhaltens und seine genetisch bestimmten Gesetzmäßigkeiten. 

Betonung des Auseinanderdriftens von angeborenen Verhaltensschemata und der kulturellen Geschichte des Menschen

Paradigma: wie Klass. Ethologie

 

Verhaltensökologie

Zweig der Biologie, der die Steigerung der Darwin-Fitness durch optimales Verhalten untersucht. Es wird das Verhalten einer Tierart unter den ökologischen Bedingungen der Umwelt untersucht. 

In der Verhaltensökologie stehen evolutionsbiologische Thesen im Vordergrund.

Optimales, d.h. biologisch angepasstes Verhalten, ist immer von Genen beeinflusst, denn sonst könnte es nicht der natürlichen Selektion unterliegen.

Paradigma: Darwin-Fitness durch optimales Verhalten; 

Kosten-Nutzen-Analyse.

Ultimate und proximate Ursachen des Verhaltens 

 

 

 

Soziobiologie

Wissenschaft von der biologischen Angepasstheit menschlichen und tierlichen 

Sozialverhaltens. Dieses Verhalten unterliegt der formenden und optimierenden Kraft evolutionsbiologischer Vorgänge.

Darwinsches Paradigma

Ressourcenforschung 

Gesamtfitness

Verwandtenselektion oder

kin selection :natürliche Selektion setzt an der Variabilität der Merkmalsträger an (Phänotypenselektion)

Deutung des phänotypischen Altruismus

 

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